René Telemann

Die Zukunft des Service Managements

Die vieldiskutierte „digitale Transformation“ bedeutet vor allem, dass Geschäftsprozesse hochgradig, im Idealfall vollständig IT-gestützt ablaufen. Der reibungslose IT-Betrieb wird somit geschäftskritisch – selbst in Bereichen, in denen er es nicht längst schon ist. Dadurch kommt auch den (IT-)Service-Prozessen ein deutlich höherer Stellenwert zu: Service-Management wird zum strategischen Erfolgsfaktor. Doch wie wird sich das äußern?

Das IT-Service-Management (ITSM) muss störungsfrei funktionieren, daran führt kein Weg vorbei. Denn es umfasst immer stärker das gesamte Unternehmen – nicht umsonst spricht man hier nicht mehr nur von ITSM, sondern von Business-Service-Management (BSM) oder Enterprise-Service-Management (ESM), welches mehr als nur IT Prozesse unterstützt und die „Service-ifzierung“ im Unternehmen unterstützt. Der Schritt zum ESM erfordert Automation, den Einsatz künstlicher Intelligenz – und vor allem ein vorausschauendes Prozessdesign.

Dazu muss man sich zunächst das enorme Potenzial von ESM vor Augen führen. Die folgenden vier Thesen sollen veranschaulichen, wie die digital transformierten Unternehmensprozesse aussehen könnten – und was dies für das Service-Management bedeutet.

Das Unternehmen wird aus Endanwendersicht zur App

Ein durchschnittliches mittelständisches Unternehmen hat heute hunderte Applikationen im Einsatz, manche sogar über 1.000. Neue Mitarbeiter benötigen so Tage oder gar Wochen, bis sie ihren digitalen Workspace eingerichtet haben und ihrer Tätigkeit ungehindert nachgehen können.

Hier schaltet modernes Service-Management den Effizienz-Turbo hinzu: Ein neuer Kollege bekommt künftig einfach eine Message auf seinem Mobilgerät. Der dort enthaltene Link führt ihn zu einer App; nach deren Installation sieht er einen Servicekatalog mit allen Applikationen und Services, die die IT für ihn freigegeben hat: Einige sind je nach Rolle automatisch vorgegeben, andere kann er nach Belieben wählen. So ist er noch am ersten Tag voll arbeitsfähig. Verlässt er eines Tages das Unternehmen, löscht die IT einfach seine Zugriffsrechte für die Unternehmens-App. Das sorgt für Datensicherheit – auch im Sinne der DSGVO.

Künstliche Intelligenz wird den Service-Desk nicht ersetzen

Um eine Störung zu melden, muss der Endanwender bald nicht mehr beim Helpdesk anrufen oder ein Trouble Ticket schreiben. Die einen werden es bevorzugen, dem in ihre App integrierten Chatbot die aktuelle Störung zu schildern, um einen Link zum passenden Knowledge-Base-Artikel zu erhalten; ist eine Störungsbehebung per Self Service nicht möglich, wird der Chatbot den User informieren, dass der Vorgang erfasst und automatisch angestoßen ist – und wann die Störung behoben sein wird.

Andere Nutzer werden lieber einem virtuellen Assistenten wie Alexa, Siri oder Cortana per Spracheingabe ihr Leid zu klagen: „Siri, das Display meines Rechners flimmert!“ Das ITSM-System erkennt das Gerät an der MAC-Adresse, erstellt ein Trouble Ticket, prüft das SLA sowie die historischen Reparaturzeiten und meldet dem Endanwender: „Ein Ticket zu Ihrer Störung ist angelegt, sie wird in X Stunden behoben sein.“ Den Status der Störungsbehebung kann der Anwender dann im Incident-Tracker seiner Unternehmens-App live mitverfolgen.

AI (Artificial Intelligence) in Form virtueller Assistenten und Chatbots ist hier dem Service Desk vorgeschaltet: Sie nimmt dem IT-Team jene lästigen Routineabläufe ab, die das Arbeiten im First Level Support bei IT-Mitarbeitern so unbeliebt machen. Der häufigste Grund für Support-Anrufe, das vergessene Passwort, lässt sich mittels hinterlegter Workflows sogar gänzlich automatisieren – oder gar per biometrischer Identifizierung ersetzen.

Viele Störungen gehen aber über banale Routinefälle hinaus: Sie betreffen komplexere technische Fehler, setzen Kenntnis der geschäftlichen Zusammenhänge jenseits der reinen Konfigurations- und Performance-Daten voraus oder erfordern „Fingerspitzengefühl“, also soziale Kompetenz. Das wird AI auf absehbare Zeit nicht leisten. AI kann das Service Desk Team somit zwar entlasten, das Personal wird aber weiterhin gebraucht: Es wird sich auf anspruchsvollere Aufgaben konzentrieren können – und müssen.

Die IT-Abteilung muss ihre Services aktiv vermarkten, sonst landet sie „in der Cloud“

Die hausinterne IT steht längst im Wettbewerb mit Managed- und Cloud Service Providern: Viele Fachabteilungen ordern IT Services und Apps direkt aus der Cloud – die IT-Organisation nennt das „Schatten-IT“, aus Sicht der Betroffenen ist es aber schlicht „modernes Arbeiten“. Die interne IT muss einsehen, dass sie in manchen Fällen effizienter, unternehmens- oder benutzergerechter agieren kann als generische Cloud Services, in anderen Fällen aber eben nicht. Sie muss ihren Servicekatalog deshalb nutzen, um Endanwendern das Beste aus beiden Welten zu bieten – aus einer Hand, benutzerfreundlich und vor allen Dingen bequemer als der Bezug von Schatten-IT. Sonst wird sie durch die Cloud verdrängt.

Ein benutzerfreundlicher Servicebezug allein reicht aber nicht: Die IT muss schnell agieren können und dafür so viele Back-End-Prozesse wie möglich automatisieren. Doch selbst ein vollautomatisiertes IT Service Management ist nur ein Teilerfolg: Die IT muss mit den Fachabteilungen diskutieren, auf welche Weise deren Abläufe so effizient laufen können wie das vollautomatisierte ITSM.

Das oben beschrieben Onboarding eines neuen Mitarbeiters zum Beispiel ist ein digital transformierter HR-Prozess. Denkbar wäre aber noch viel mehr, von der digitalen Urlaubsplanung und -genehmigung über die Self-Service-Buchung von Fahrzeugen aus dem unternehmenseigenen Fahrzeugpool bis hin zum automatisierten Recruiting-Prozess.

Ein Beispiel: Der VP Sales benötigt einen neuen Vertriebsleiter für Süddeutschland. Heute erfasst sein Team dafür das Anforderungsprofil schriftlich per Web-Formular. Die HR-Abteilung stellt das Profil dann bei einer Reihe von Job-Portalen ein und ist anschließend wochenlang damit beschäftigt, Bewerbungen zu sichten und auszuwerten.

In Zukunft hingegen wird der VP Sales das Anforderungsprofil einfach in das unternehmenseigene Recruiting-Portal eingeben. Er klickt die gewünschten Kriterien an, gewichtet sie und wählt dann für die Personalsuche die Platinum-Variante aus: eine per SLA garantierte Suche mittels Headhunter mit Vorschlag der fünf bestgeeigneten Bewerber nach 14 Tagen. Die Verteilung des Profils auf die diversen Job-Portale übernimmt die ESM-Engine automatisiert im Hintergrund, der VP Sales erhält zwei Wochen später die fünf aussichtsreichsten Bewerbungen. Prozessautomation im Recruiting erleichtert dabei nicht nur die Mitarbeitersuche, sondern legt zugleich die Basis für professionelles Talent Relationship Management und somit für langfristige Mitarbeiterbindung.

Für den IT-Leiter oder CIO bedeutet das: Er muss die ITSM-gestützte Prozessoptimierung in den Fachabteilungen aktiv vermarkten. Dazu muss er auf die Fachverantwortlichen zugehen und aufzeigen, was mit hauseigener IT alles möglich ist – und dass man nicht auf Schatten-IT ausweichen muss.

Ein Unternehmen, das sein Service Management nicht im Griff hat, findet bald keine Mitarbeiter mehr

Nein, der händeringend gesuchte Vertriebsleiter für Süddeutschland wird im Bewerbungsgespräch natürlich nicht fragen: „Haben Sie denn Ihr Service Management im Griff?“ Steht ein Unternehmen aber im Ruf, dass seine IT nicht „rund“ läuft, wird es zunehmend Probleme haben, die gewünschten Mitarbeiter zu finden. Denn im Zeitalter der Digitalisierung bedeuten mangelhafte IT-Service-Prozesse zwangsläufig auch mangelhafte Geschäftsprozesse – und die gesuchten Talente werden dieses Manko über Cloud Services ermitteln.

Der neue Vertriebsleiter, der erst mal zwei Wochen auf sein Notebook warten muss, ist dann schnell wieder weg. Im Unternehmen bleiben nur jene, die sich mit mangelhaftem IT-Betrieb zufriedengeben – keine gute Ausgangslage für wirtschaftlichen Erfolg.

Jenseits des Service Desks

Das IT Service Management war früher schlicht ein Werkzeug für den Service-Desk-Betrieb. Heute wandelt es sich zum strategischen, automatisierten und Self-Service-orientierten Enterprise Service Management. Das Service Management wird zur zentralen Drehscheibe der Unternehmens-IT. Denn Digitalisierung heißt eben nicht nur, dass man Geschäftsprozesse auf eine IT-Basis stellt: Zwingend nötig ist auch ein automatisiertes Service-Management, das den digitalen Betrieb verlässlich am Laufen hält.

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